Benutzer:Chricho/Entwürfe/Wolfgang Treher

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Rudolf Steiner um 1900

Die Psychopathographie Rudolf Steiners vereint diejenige psychiatrische (pathographische) Fachliteratur, in der die These behandelt wird, dass Rudolf Steiner (1861–1925) an einer psychischen Erkrankung gelitten habe.

Steiners selbst erklärte Fähigkeit zu übersinnlicher Welterkenntnis wurde schon bald nach seinem Tod zum Gegenstand auch psychiatrischer Fragen.

Auf der Grundlage der umfangreich überlieferten Lebensdaten, Schriften und Reden von Steiner veröffentlichten die Psychiater Wilhelm Lange-Eichbaum und Wolfgang Treher unabhängig voneinander die Einschätzung, dass er unter Schizophrenie litt.

Wilhelm Lange-Eichbaum (1928)

Der Hamburger Psychiater Wilhelm Lange-Eichbaum (1875-1949), der sich neben seiner ärztlichen Tätigkeit intensiv mit Genie-Forschung befasste, bezeichnete Steiner bereits 1928 als schizophren, da er seine höheren Welten als wirklich erlebt habe und offenbar in offener Sinnenverbindung zu ihnen gestanden habe. Seine Symptome hätten dem Sammelbegriff der Paraphrenien, nach Emil Kraepelin (1856-1926), entsprochen, und zwar bezüglich aller drei der wichtigsten Subtypen: expansiva, confabulans und phantastica.[1]

Wolfgang Treher (1966)

Der Neurologe und Psychiater Wolfgang Treher (1919-1993, Facharztausbildung Uni-Klinik Frankfurt am Main, 1957-1981 psychiatrisches Landeskrankenhaus im Raum Freiburg) war der Auffassung, dass eine Analyse der psychiatrischen Symptome Steiners (und auch Moritz Schrebers) zum Verständnis der Psychopathographie Adolf Hitlers entscheidend beitragen könne und damit das Risiko eines historischen Wiederholungsfalls vermindern könne. Folgende Äußerungen von Steiner beschrieb er als typische Symptome von Schizophrenie:

Aus der Akasha-Chronik, erst posthum 1939 in Buchform erschienen
  • Steiners Selbstbezeichnung der Quelle seiner Schriftensammlung Aus der Akasha-Chronik als „lebende Schrift“ entspreche dem „Stimmen hören“ der Schizophrenen.
  • Steiners Selbstbeschreibung als „Eingeweihter“, dessen „Persönlichkeit“ ihre Bedeutung verloren hat und der „ganz im Dienst der ewigen Weisheit steht“, sei ein typisches Zeichen von Entpersonalisierung (Depersonalisation).
  • Steiners Beschreibung der „schwebenden Fahrzeuge der Atlantier“, die durch die Nutzung der „Lebenskraft“ von Pflanzensamen betrieben wurden und die sogar Gebirge überfliegen konnten, entspreche dem Erlebnis von Schizophrenen, „immer höher gehoben zu werden“ (Elevation oder Levitation).
  • Steiners Beschreibung der Lemurier, die die „Wachstumskraft von Pflanzen und Tieren“ in ihrer Nähe aufnehmen konnten und damit „ungeheure Lasten durch bloße Willensentwicklung“ anheben konnten, entspreche ebenfalls dem typischen Levitations-Erlebnis der Schizophrenen.
  • Die „Gabe des Hellsehens“, die Steiner sich zuschrieb und die er auf die Abwesenheit von „Begehren“ zurückführte, sei ein Zeichen von abgerissenem Weltkontakt und für das Einsetzen eines (halluzinatorischen) Erfüllungsautomatismus.[2]

Beginn der Störungen

Nach Treher seien in Steiners Schriften bis 1897 noch keine überzeugenden Hinweise auf eine beginnende Störung zu finden. Der Beginn sei also entweder auf dieses Jahr, für das sich Steiner selbst den Beginn seiner Sehergabe zuschrieb, oder auf den Sommer 1902 zu datieren, als Zeitzeugen eine Wesensveränderung bei ihm beschrieben.[3]

Rezeption

Die pathographischen Werke von Wilhelm Lange-Eichbaum hat der Soziologe und Ethnologe Wilhelm Emil Mühlmann in einem Lexikon-Eintrag wie folgt beschrieben. Lange-Eichbaums Perspektive sei eine "ausgesprochen soziologische und sozialpsychologische". Die "psychopathologischen Züge sowie Lebens- und Leidensschicksale" vieler berühmter schöpferischer Persönlichkeiten seien in erster Linie "von einer verehrenden Gemeinde" als eine Art quasi-göttliche Qualität mit Genie-Vorstellungen vermengt worden. Die psychopathologischen Züge seien jedoch real und damit objektiver Gegenstand der Soziologie schöpferischer Leistung. Die Werke Lange-Eichbaums seien bestechend durch die "Fülle des Materials, Breite und Tiefe der Bildung, Realistik des Zugriffs, blendenden Stil und psychologisch-künstlerisches Einfühlungsvermögen".[4]

Trehers Bericht zu Steiner wurde von Historikern[5][6] und Steiner-Biografen[7][8] anerkennend zitiert. James Webb, Pionier der historischen Okkultismus-Forschung, hat in seinem vielbeachteten Werk The Occult Establishment (1976, deutsch 2008) Trehers Bericht zu Steiner als „detailiert und überzeugend“ bewertet.[9]

Kritik

Von Seiten der Anthroposophie äußerte sich Frank Hörtreiter in einer Rezension von Helmut Zanders Steiner-Biografie (2011)[10] zu Trehers Werk über Steiner. Er bezeichnete Zanders „Spekulation über eine seelische Erkrankung Steiners in Anknüpfung an Wolfgang Treher“ als „reichlich abgelegen“. Dazu stellte er die Frage, warum Zander so etwas vergleichsweise seriös nenne.[11]

Alternative Erklärungsmodelle

Verdacht auf vorgetäuschte Eingebungen

Bereits zu Steiners Lebzeiten gab es Zweifel, ob er selbst an das glaubte, was er verkündete. So schrieb der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky 1924 nach dem Besuch eines Vortrags von Steiner: "Aber der glaubt sich ja kein Wort von dem, was er da spricht! (Und da tut er auch recht daran.)"[12] Ähnliche Zweifel äußerte der Schriftsteller Hermann Hesse, 1935 im Rückblick, durch den Gebrauch der Bezeichnungen „dieser krampfhafte Magier und überanstrengte Willensmensch“.[13]

Visionen mit Offenbarungsqualität

Von religiöser Seite - und gänzlich ohne Bezugnahme auf medizinische Ansätze - bezeichnete Jan Badewien, evangelischer Theologe und Beauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden für weltanschauliche Fragen, Steiners selbst erklärte Fähigkeit zu übersinnlicher Welterkenntnis als eine "Schau" (Vision), mit "Offenbarungsqualität".[14]

Der Begriff der religiösen Vision wiederum ist seinerseits Gegenstand naturwissenschaftlicher Kritik. Danach ist eine religiöse Offenbarung das Ergebnis eines neurobiologischen Ausnahmeprozesses. Oft tritt sie auf im Zusammenhang mit psychiatrischen Erkrankungen, gerade auch Schizophrenie. In einer Gruppe von 193 Schizophrenie-Patienten in Manchester/England litten 24 % an religiösen Wahn-Ereignissen (religious delusions).[15] Die Größe des Anteils erwies sich jedoch in einer späteren Studie als stark kulturbedingt. Bei 132 Ost-Berliner Patienten (1980-1985) betrug er nur 12 %, bei 151 Regensburger Patienten (1980-1983) dagegen 29 %. Die Forscher schlossen daraus, dass religiöse Wahn-Ereignisse Sekundärerscheinungen von Schizophrenie sind und nicht unmittelbar Teil der Krankheit.[16]

Neuere Entwicklungen zum Schizophrenie-Begriff

Die damals benutzten Begriffe für die diagnostizierten Subtypen der Schizophrenie, Paraphrenien und Paranoide Schizophrenie (Wahnvorstellungen, Ich-Störungen) bestehen weiterhin in unveränderter Bedeutung. Auch gilt nach wie vor – trotz aller Fortschritte bei neurobiologischen Schizophreniekonzepten – dass Patienten mit einer Schizophrenie bei technischen Untersuchungen keine Auffälligkeiten zeigen. Das bedeutet, dass Psychiater damals wie heute darauf angewiesen sind, Berichte über Erlebnisse und Verhalten von Patienten zu analysieren und zu bewerten.

Der Zusammenhang von Schizophrenie und religiösen Wahnereignissen ist jedoch durch mehrere epidemiologische Studien der letzten Jahre zunehmend besser verstanden worden. Nicht nur die Häufigkeit (siehe oben) religiöser Komponenten wurde ermittelt, sondern auch, dass Schizophrenie-Patienten mit religiösen Wahnereignissen im Vergleich zu anderen Schizophrenie-Patienten - statistisch gesehen - schwerere Symptome, mehr Beeinträchtigung, längere Krankheitsdauer und höhere Dosen von Medikation hatten. Außerdem zeigte sich, dass Patienten mit einem starken religiösen Glauben - statistisch gesehen - einen schlechteren Behandlungserfolg (nach zwei Jahren) aufwiesen. Patienten mit einer religiösen Komponente der Krankheit (religiöse Wahnereignisse) unterschieden sich jedoch nicht von den übrigen Patienten in der mittelfristigen Reaktion auf Medikamente (nach vier Wochen).[17]

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Lange-Eichbaum: Genie – Irrsinn und Ruhm. Ernst Reinhardt, München 1928 (mehrfach wieder aufgelegt, zuletzt 1986–1996), in 11 Bänden. Band 7: Wilhelm Lange-Eichbaum, Wolfram Kurth: Die Philosophen und Denker, 7. Auflage, Ernst Reinhardt, München 1989, 172 S. ISBN 978-3497011803, S. 146f.
  2. Wolfgang Treher: Hitler, Steiner, Schreber: Gäste aus einer anderen Welt: Die seelischen Strukturen des schizophrenen Prophetenwahns (Erstausg. 1966), 2. Ausg. Emmendingen, Oknos 1990, 384 S. ISBN 3921031001, S. 39-78, bes. 43f, 51f, 60f, 65.
  3. Wolfgang Treher: Hitler, Steiner, Schreber: Gäste aus einer anderen Welt: Die seelischen Strukturen des schizophrenen Prophetenwahns (Erstausg. 1966), 2. Ausg. Emmendingen, Oknos 1990, 384 S. ISBN 3921031001, S. 43f.
  4. Wilhelm Emil Mühlmann: Lange(-Eichbaum), Wilhelm. In: Wilhelm Bernsdorf, Horst Knospe (Hrsg.): Internationales Soziologenlexikon. Band 1: Beiträge über bis Ende 1969 verstorbene Soziologen. 2. neubearbeitete Auflage. Enke, Stuttgart 1980, 517 S. ISBN 3-432-82652-4, S. 231f.
  5. Ellic Howe: Urania's Children: The Strange World of the Astrologers, London, Kimber 1967, 259 S. ISBN 0718300106, S. 209.
  6. James Webb: The Occult Establishment, La Salle, Ill, Open Court Publishing Company 1975, 535 S. ISBN 0-912050-56-X, S. 493f, 515. Deutsche Übersetzung: Das Zeitalter des Irrationalen. Politik, Kultur & Okkultismus im 20. Jahrhundert. Marix, Wiesbaden 2008, 608 S. ISBN 978-3-86539-152-0.
  7. Colin Wilson: Rudolf Steiner. The Man and His Vision: An Introduction to the Life and Ideas of the Founder of Anthroposophy, Wellingborough, Northamptonshire, Aquarian Press 1985, 176 S. ISBN 0850303982, S. 130.
  8. Helmut Zander: Rudolf Steiner: Die Biografie, Piper Verlag, München 2011, 536 S. ISBN 9783492054485.
  9. James Webb: The Occult Establishment, La Salle, Ill, Open Court Publishing Company 1975, 535 S. ISBN 0-912050-56-X, S. 493. Deutsche Übersetzung: Das Zeitalter des Irrationalen. Politik, Kultur & Okkultismus im 20. Jahrhundert. Marix, Wiesbaden 2008, 608 S. ISBN 978-3-86539-152-0.
  10. Helmut Zander: Rudolf Steiner: Die Biografie, Piper Verlag, München 2011, 536 S. ISBN 9783492054485.
  11. Frank Hörtreiter: Drei neue Steiner-Biographien, in: Die Drei - Zeitschrift für Anthroposophie in Wissenschaft, Kunst und sozialem Leben, Mercurial-Publikationsgesellschaft, Frankfurt am Main, 2/2011, S. 83-86, S. 85, (PDF).
  12. Ignaz Wrobel (Pseudonym von Kurt Tucholsky), Rudolf Steiner in Paris, in: Die Weltbühne, Jg. 20, Nr. 27, 3. Juli 1924, II, S. 26–28.
  13. Hermann Hesse: Brief an Otto Hartmann, 22. März 1935. Zitiert nach: Wolfgang G. Vögele (Hrsg): Der andere Rudolf Steiner, Verlag Pforte, Basel 2005, 403 S. ISBN 3856361588, S. 243.
  14. Jan Badewien, Faszination Akasha-Chronik. Eine kritische Einführung in die Geisteswelt der Anthroposophie, Vortragsmanuskript. Tagung: Anthroposophie – kritische Reflexionen, Humboldt-Universität zu Berlin (PDF; 211 kB), 21. Juli 2006.
  15. R. Siddle, G. Haddock, N. Tarrier, E. B. Faragher: Religious delusions in patients admitted to hospital with schizophrenia. In: Social psychiatry and psychiatric epidemiology. Band 37, Nummer 3, März 2002, ISSN 0933-7954, S. 130–138, PMID 11990010.
  16. M. Pfaff, B. B. Quednow, M. Brüne, G. Juckel: Schizophrenia and religiousness–a comparative study at the time of the two German states (Article in German: Schizophrenie und Religiosität – Eine Vergleichsstudie zur Zeit der innerdeutschen Teilung). In: Psychiatrische Praxis. Band 35, Nummer 5, Juli 2008, ISSN 0303-4259, S. 240–246, PMID 18683288.
  17. Michael S. Ritsner: Handbook of Schizophrenia Spectrum Disorders, Volume III. Therapeutic Approaches, Comorbidity, and Outcomes Springer Science & Business Media, 2011, 462 S, ISBN 9400708343, S. 395.