Paul Jorns

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Paul Jorns oder auch häufig Paul Jörns (* 14. Dezember 1871 in Heinade; † 5. Februar 1942 in Berlin) war ein Oberreichsanwalt. Er war eine „Skandalfigur“ der Weimarer Republik und ist ein bekanntes Beispiel für die damalige hochkonservative Justiz. So vertuschte er als Untersuchungsrichter den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Leben

Kaiserreich

1896 wurde er Rechtspraktikant. 1899 folgte seine Ernennung zum Gerichtsreferendar. 1900 wurde er Kriegsgerichtsrat in Karlsruhe bei der 28. Division. In seiner Eigenschaft als preußischer Kriegsgerichtsrat im Heeresjustizdienst kam er 1902 mit Ostasisatische Brigade nach China. Er wird 1906 nach Deutsch-Südwestafrika vesetzt. Dort bereitete Kriegsgerichtsrat Jorns die Auslieferung Abraham Rolfs, einem Unterführer Jakob Morengas, seitens der Kapkolonie vor. Im Dezember 1909 wurde Jorns abberufen[1] und nach Straßburg beordert.

Republik

Nach der Kapitulation 1918 war er Kriegsgerichtsrat in der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Ab dem 17. Januar 1919 befasste er sich mit den Mordfällen Luxemburg und Liebknecht, nachdem General Hoffmann als der militärische Gerichtsherr der Division, einem anderen Kriegsgerichtsrat entfernt hatte, dem Haase das Bestreben nach Objektivität bescheinigte. Jorns ließ erst einmal Kurt Vogel und Horst von Pflugk-Harttung wieder frei. Hoffmann und Jorns sahen sich aber gezwungen, je zwei Mitgliedern des Zentralrats und des Berliner Vollzugsrats hinzuzuziehen. Jorns selbst lehnte Anträge der zivilen Mitglieder der Untersuchungskommission ab. Nachdem die Titelseite der Roten Fahne am 15. Februar die Schlagzeile: „Der Mord an Liebknecht und Luxemburg. Die Tat und die Täter“ von Leo Jogiches brachte, traten Oskar Rusch, Paul Wegmann und Hugo Struve tags drauf von der Teilnahme an der Untersuchung zurück. Nicht zurückgetreten war Hermann Wäger, der am 21. Januar für Hermann Müller eingesprungen war. Die zivilen Mitglieder der Untersuchungskommission stellten fest, dass der Kriegsgerichtsrat Jorns nichts tat, um eine Verschleierung des Tatbestandes zu verhindern. Die Öffentlichkeit wollte an die Untadligkeit Jorns glauben, Eduard Bernstein (1921);[2]

„Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kriegsgerichtsrat Jörns bei Leitung der Untersuchung absichtlich auf Vertuschung bestimmter Einzelheiten hingearbeitet hat, sein energisches Verhalten als Anklagevertreter bei der Gerichtsverhandlung leiht dieser Annahme wenig Spielraum... die große Mord- Verschwörung, von der Spartakisten und Spartakistengönner damals fabelten, hätte auch er schwerlich feststellen können, sie gehört eben in das Reich der Fabel. ...Jörns beantragte denn auch gegen die vier Offiziere, die geschossen hatten, die Todesstrafe wegen vollendeten Mordes.“

Dieser Antrag war Bestandteil der Hauptverhandlung vom 8. bis 14. Mai, einer „Justizposse, die als einer der großen Justizskandale unseres Jahrhunderts bezeichnet werden muss.“[3] Jorns hinterging auch das Bauernopfer des Verfahrens Otto Wilhelm Runge, der Einzige des Verfahrens, der die Strafe verbüßte, nachdem Wilhelm Canaris dem Mitverurteilten Kurt Vogel fünf Tage nach dem Urteilsspruch zur Gefängnisflucht verholfen hat. Runge (1921):[4]

„Die Untersuchung ist eine Komödie gewesen. Ich sprach mit Kriegsgerichtsrat Jörns wiederholt privat und er sagte mir: ‚Nehmen Sie alles ruhig auf sich, vier Monate werden es nur, und Sie können sich dann immer wieder an uns wenden, wenn Sie in Not sind.‘“

Danach ging seine Karriere steil aufwärts: 1920 wurde er Hilfsarbeiter am Reichsgericht. Seine weiteren Beförderungen Oberstaatsanwalt 1923 und zum Reichsanwalt 1925 wurden jeweil von Ludwig Ebermayer befürwortet, der ihm „für die Bearbeitung politischer Sachen hervorragendes Verständnis und feinstes Taktgefühl“ zuschrieb.

1928 vertrat er die Anklage im Fall Jacob und Küster: In einem Artikel in der Zeitung „Das Andere Deutschland“ wurde das System der so genannten Zeitfreiwilligen aufgedeckt. Diese kurzfristig zu militärischen Übungen herangezogen Soldaten wurden in der Statistik verheimlicht, da sie gegen den Versailler Vertrag verstießen. Wegen des Artikels verurteilte im März 1928 das Reichsgericht im „Ponton-Prozess“ die Angeklagten wegen Landesverrats zu je neun Monaten Festungshaft. (Vgl. „Weltbühne-Prozess“). Kurt Tucholsky:[5]

„Das kleine Intermezzo in einer sonst anständig und untadlig geführten Verhandlung verdient hervorgehoben zu werden, weil es für den Geist des Reichsgerichts typisch ist.....Der ehemalige Kriegsgerichtsrat weiß von dem Bruder nichts, außer ein wenig Klatsch. Zunächst gibt es nichts zu wissen: der Mann lebt hier in Paris, bearbeitet den alten historischen Fall Naundorff; er lebt im übrigen als Privatmann, dessen Gesinnung überhaupt nicht zur Diskussion steht, Herr Jörns interessiert sich für ihn. Ihm genügt die Tatsache, dass ein Deutscher beim welschen Erbfeind lebt, um ihn zu verdächtigen. Seine Fragen, die nicht zur Sache gehörten, waren Verdächtigungen und sind selbstverständlich als solche aufzufassen. Wüßte der Reichsanwalt Näheres und Belastendes über die Tätigkeit dieses Bruders, so müßte er ja von Amts wegen dagegen einschreiten, und man kann sicher sein, dass er es getan hätte. Er weiß aber nichts. Diese Ignoranz genügt, um einen Deutschen, der weder als Angeklagter noch als Zeuge mit der Sache zu tun hat, zu beschimpfen. Der Angeklagte allein ist dem Kriegsgerichtsrat zu wenig Beute: alles, was zu seiner Familie gehört, ist verdächtig......Daß eine Beleidigung durch den Reichsanwalt vorliegt, steht außer Zweifel: in seinen Kreisen werden solche ›Beziehungen‹ zum französischen Generalstab als Spionage, als Landesverrat, also als Verbrechen angesehen. Der Vorsitzende hat Berthold Jacob damit zu beruhigen versucht, dass er bemerkte: »Der Herr Reichsanwalt hat nur gefragt ...“

Zur selben Zeit fand sich in der Zeitschrift „Das Tage-Buch“ am 24. März 1928[6] ein Artikel „Kollege Jorns“, verfasst vom Verurteilten Berthold Jacob unter dem Pseudonym „Staatsanwalt N.“.

„Seine Milde gegen die Liebknecht-Luxemburg-Mörder war im Jahr 1919 ein Signal, daß gute Zeiten Zeiten für Mörder gekommen seien“

Der Artikel stellte schließlich die mangelnde Eignung Jorns für das Amt des Reichsanwalts fest. Oberreichsanwalt Karl August Werner (1876–1936) und der Kollege Jorns stellten Strafantrag wegen Beleidigung und übler Nachrede. Der Reichsjustizminister Koch-Weser befürwortete – trotz Warnungen vor der „linksradikalen“ Presse - im Kabinett den Antrag.[7] Am 17. April 1929 begann vor dem Schöffengericht in Berlin-Mitte die Hauptverhandlung. Paul Levi übernahm die Verteidigung des angeklagten verantwortlichen Redakteurs Bornstein. Entgegen den Erwartungen Jorns[8] ließ der Vorsitzende die Beweisanträge über eine nochmalige detailierte Untersuchung der Vorgänge 1919 zu. Aus den Akten, die Levi einsehen durfte, konnte er noch die Vertuschung Jorns nachweisen. Zweimal titulierte der Staatsanwalt während der Verhandlung Jorns mit Angeklagter. Das Plädoyer Levis wurde von Carl von Ossietzky als die mächtigste deutsche Rede nach Ferdinand Lasalles[9] genannt.

„Die schreckliche Tat, die damals begangen worden ist, ist keinem gut bekommen. ... Nur einer stieg hoch, der Kriegsgerichtsrat Jorns, und ich glaube, er hat in den zehn Jahren vergessen, woher seine Robe die rote Farbe trägt. …Die toten Buchstaben, benutzt zu dem Zwecke, Schuldige zu schützen, und die vermoderten Knochen der Opfer: sie stehen hier auf und klagen an den Ankläger von damals.“

Prozeß und Urteil schlug große Wellen. Karl Friedrich Kaul nahm als junger Referendar am Prozess teil und befand rückblickend:

„Als überzeugter Vertreter der preußischen Justiz ging ich in den Prozess hinein, als überzeugter Kommunist kam ich heraus.“

Im Freispruch wurde festgestellt, dass der Wahrheitsbeweis erbracht wurde, dass Jorns Zustände geduldet hat, die dem Untersuchung gefährdeten, und daher sei die Schlussfolgerung der mangelnden Eignung berechtigt gewesen. Nach dem Freispruch, erstattete Wilhelm Pieck Anzeige gegen Jorns, der nicht nachgegangen wurde. Die Berufungsverhandlung fand am 27. Januar 1930 vor der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts I in Berlin statt. Während des Prozesses stürzte Levi aus ungeklärten Umständen aus dem Fenster. Die Staatsanwaltschaft beantragte Freispruch. Als Jorns deswegen seinen Kollegen Staatsanwalt beleidigte, zerstritten sich Nebenkläger Jorns und Hauptkläger Oberreichsanwalt Werner. Das Gericht entschied hier auf Geldstrafe in Höhe von 100 Mark, da das Absprechen juristischer Qualifikation bei Jorns nicht zuträfe. Jorns appellierte nun an das Reichsgericht in Leipzig, seinen Arbeitsplatz. Das Reichsgericht änderte in seinem Urteil vom 7. Juli 1930 seine bisherige Rechtsprechung dahingehend, dass hier der Nachweis des Bewußtseins des Vorschubleistens nicht ausreicht, sondern es müsse die Absicht bewiesen werden. Das Landgericht Berlin, an das zurückverwiesen wurde, verurteilte am 30. Januar 1931 Bornstein zu 500 Mark Geldstrafe. Im Reichstag wurde über den Prozess debattiert. Otto Landsberg, damaliger Volksbeauftragter für Justiz ereiferte sich, dass Jorns ihn gefragt habe,

„ob meine politischen Freunde und ich nicht hocherfreut gewesen seien über die Nachricht von der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.“

Mit Zustimmung des Reichsjustizministers Joël wurde am 27. November 1931 Jorns zum Untersuchungsführer im Fall der Boxheimer Dokumente ernannt, die am 25. November der Polizei übergebenen worden sind. Jorns wurde aber schon zwei Tage später zurückgezogen. Danach wurde er in einem Revisionssenat beschäftigt.[10]

Diktatur

1933 trat er in die NSDAP ein. 1934 wurde er in der Filiale des Reichsgerichts in Berlin zuständig für die Anklage beim Volksgerichtshof. Den Gipfel seiner Karriere erreichte er mit seiner Ernennung zum Oberreichsanwalt 1936. 1937 trat er mit Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand. Zu Kriegsbeginn wurde Jorns reaktiviert und erneut bei der Reichsanwaltschaft am Volksgerichtshof tätig. 1941 trat er endgültig in den Ruhestand.

Film

Die Morde wurden mehrmals verfilmt. Dagestellt wurde der Kriegsgerichtsrat Jorns von:

Werke (Auswahl)

  • „Landesverrat“, in: Deutsche Richterzeitung 1928, S. 105ff.

Literatur

  • Elisabeth Hannover-Drück und Heinrich Hannover: „Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Dokumentation eines politischen Verbrechens“, Frankfurt a.M. 1967.
  • Klaus Gietinger: „Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst; eine deutsche Karriere“, Hamburg 2009, ISBN 978-3-89401-592-3. Ders. : Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs, Hamburg 2008.

Einzelnachweise

  1. http://heim.ifi.uio.no/~jensj/Slekt/Luderitz/LuderitzbuchterZeitung/1910/19100122.jpg Lüderitzbuchter Zeitung 22 Jan 1910
  2. Eduard Bernstein: Die deutsche Revolution; ihr Ursprung, ihr Verlauf und ihr Werk, 1. Band, Berlin-Fichtenau 1921, S. 168f.
  3. Wolfram Wette: „Gustav Noske. Eine politische Biographie“, Düsseldorf 1987, Seite 309.
  4. Husar Runge in der „Freiheit “, dem Zentralorgan der USPD (1918-1923) vom 9. Januar 1921, zitiert nach Emil Julius Gumbel: „Vier Jahre politischer Mord“, Berlin 1922, S. 13.
  5. Ignaz Wrobel, Die Weltbühne, 27. März 1928, Nr. 13, S. 471.
  6. Das Tage-Buch, 9 (1928), Heft 12, S. 473.
  7. Akten der Reichskanzlei 1918-1933: Das Kabinett Müller II, Band 1, Dokument Nr. 82, Kabinettssitzung vom 10. Dezember 1928, 7. Personalsache des Reichsjustizministeriums.
  8. Wolfgang Heine: „Die Bedeutung des Jorns-Prozesses“, Sozialistische Monatshefte 1929, S. 389ff..
  9. Ferdinand Lassalle: „Über Verfassungswesen“ (1862).
  10. Akten der Reichskanzlei 1918-1933: Die Kabinette Brüning I/II , Band 3 , Dokument Nr. 574 Ministerbesprechung vom 28. November 1931.