Polstelle

einpunktige Definitionslücke einer Funktion

In der Mathematik bezeichnet man eine einpunktige Definitionslücke einer Funktion als Polstelle oder auch kürzer als Pol, wenn die Funktionswerte in jeder Umgebung des Punktes (betragsmäßig) beliebig groß werden. Damit gehören die Polstellen zu den isolierten Singularitäten. Das Besondere an Polstellen ist, dass sich die Punkte in einer Umgebung nicht chaotisch verhalten, sondern in einem gewissen Sinne gleichmäßig gegen unendlich streben. Deshalb können dort Grenzwertbetrachtungen durchgeführt werden.

f(x)=1/x hat einen Pol erster Ordnung an der Stelle x=0

Generell spricht man nur bei glatten oder analytischen Funktionen von Polen. In der Schulmathematik werden Pole bei reellen gebrochen-rationalen Funktionen eingeführt. Sollen auch Singularitäten von anderen Funktionen, etwa transzendenten Funktionen, z. B. beim Sekans , untersucht werden, so ist es am zweckmäßigsten, die analytische Fortsetzung auf den komplexen Zahlen zu betrachten.

Reelle Funktionen

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Im Folgenden sei   eine rationale Funktion auf den reellen Zahlen. Eine allgemeinere Herangehensweise wird weiter unten bei Komplexe Funktionen dargestellt.

Polstellen und stetig hebbare Definitionslücken rationaler Funktionen

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Jede rationale Funktion lässt sich als Quotient zweier Polynome schreiben:

 

Dabei seien   und   ungleich dem Nullpolynom. Dann können Polstellen von   generell nur an den Nullstellen des Nennerpolynoms auftreten. Habe also   eine  -fache Nullstelle in  . Da sich Nullstellen mittels Polynomdivision aufgrund des Fundamentalsatzes der Algebra ausfaktorisieren lassen, gilt  , dabei ist   ein Polynom vom Grad   und  . Jetzt hängt es vom Zählerpolynom ab, ob   eine Polstelle ist.

  • Falls   gilt, dann ist   eine Polstelle der Ordnung  .
  • Hat   eine  -fache Nullstelle in  , so gilt:
    • falls  , so ist   Polstelle von   mit Ordnung  ;
    • falls  , so ist   eine stetig hebbare Definitionslücke und somit keine Polstelle.

Bemerkungen

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  • Interpretiert man   hat in   keine Nullstelle“ als   hat in   eine  -fache Nullstelle mit  , so lässt sich obige Fallunterscheidung kürzer formulieren.
  • Rationale Funktionen können keine anders gearteten Singularitäten besitzen.
  • Rationale Funktionen besitzen höchstens endlich viele Polstellen, da ein Polynom nur endlich viele Nullstellen haben kann.

Ordnung einer Polstelle

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Die Ordnung einer Polstelle wird durch eine natürliche Zahl ausgedrückt und ist die Entsprechung zur Vielfachheit einer Nullstelle. Je höher die Ordnung ist, umso schneller streben die Funktionswerte betragsmäßig gegen unendlich. Zusätzlich wird zwischen gerader und ungerader Ordnung unterschieden. Jede Polstelle einer rationalen Funktion hat eine endliche, eindeutig bestimmte Ordnung. Ist   wie oben definiert, dann erhält man zwei Polynome  , die keinen Linearfaktor gemeinsam haben, sodass  , indem man alle stetig behebbaren Definitionslücken herauskürzt. Dann hat   in   genau dann eine Polstelle  -ter Ordnung, wenn   dort eine  -fache Nullstelle hat, oder anders formuliert, wenn   in   eine  -fache Nullstelle hat. Ebenso spricht man von einem Pol der Ordnung 0, wenn   dort keine Polstelle hat.

Verhalten des Graphen

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Der Absolutwert der Gammafunktion geht nach Unendlich an den Polstellen (links). Rechts hat sie keine Polstellen und steigt nur schnell an.

Der Graph der Funktion verschwindet bei Annäherung an die Polstelle im Unendlichen und besitzt dort eine senkrechte Asymptote. Das genaue Verhalten wird durch die Ordnung der Polstelle festgelegt. Je höher die Ordnung ist, umso steiler erscheint der Graph.

Bei einer ungeraden Ordnung spricht man auch von einer Polstelle mit Vorzeichenwechsel, der Graph springt aus dem positiven in den negativen Bildbereich oder umgekehrt.

Bei einem Pol gerader Ordnung liegt der Graph auf beiden Seiten der Polstelle im Bildbereich mit dem gleichen Vorzeichen. Man spricht dann auch von einer Polstelle ohne Vorzeichenwechsel.

Existenz von uneigentlichen Grenzwerten

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Hat   eine Polstelle in  , dann existiert ein Grenzwert   nur dann, wenn links- und rechtsseitiger Grenzwert übereinstimmen. Ist die Ordnung der Polstelle gerade, so ist dies stets gegeben und der Grenzwert ist   oder  .

Bei einem Pol ungerader Ordnung kann man nur dann von einem Grenzwert sprechen, wenn   gesetzt wird. Diese Einpunktkompaktifizierung erhält aber nicht die kleiner/gleich-Relation und wirkt deswegen zunächst unnatürlich. Die reellen Zahlen können aber in die komplexen Zahlen eingebettet werden und, da diese nicht angeordnet sind, ist es durchaus sinnvoll.

Beispiele

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Die Funktion   hat einen Pol 2. Ordnung bei  .

Die Funktion   hat einen Pol 3. Ordnung bei  .

Die Funktion   hat für   eine Polstelle der Ordnung 2 und für   eine Polstelle 1. Ordnung.

Die Funktion   hat für   und   Polstellen der Ordnung 1.

Schwierigkeiten bei der Verallgemeinerung

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Während es nach obigem Vorgehen keine Probleme bereitet, z. B. für die Tangensfunktion die Existenz und Ordnung der Polstellen anzugeben, wird es bei der Logarithmusfunktion für   unmöglich. Generell bereitet jede glatte, aber nicht-analytische Funktion Schwierigkeiten. Eine Möglichkeit, damit umzugehen, bieten funktionentheoretische Mittel.

Komplexe Funktionen

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Sei   ein Gebiet,   eine diskrete Teilmenge und   eine holomorphe Funktion. Dann kann   auf den Punkten von   drei verschiedene Arten von isolierten Singularitäten haben.

Definition

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Folgende Definition enthält die Pole reellwertiger rationaler Funktionen als Spezialfall. Sei  . Falls es ein   gibt, sodass   in   existiert, so kommt es zu folgenden Fällen:

  •  : Dann ist   auf   holomorph fortsetzbar.
  •   und   kleinstmöglich gewählt, dass der Grenzwert existiert. Dann liegt ein Pol der Ordnung   vor.

Existiert keine solche natürliche Zahl  , so hat   eine wesentliche Singularität in  .

Aus dem riemannschen Hebbarkeitssatz folgt, dass der Grenzwert   schon dann existiert, wenn   in einer Umgebung von   beschränkt ist.

Eine weitere Charakterisierung von Polstellen ist folgende:   hat in   genau dann einen Pol der Ordnung  , wenn der Hauptteil der Laurent-Reihe auf einer in   punktierten Kreisscheibe endlich ist und der kleinste Index eines nichtverschwindenden Koeffizienten der Laurent-Reihe gerade   ist.

Meromorphe Funktionen

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Komplexe Funktionen, die auf einem Gebiet holomorph sind und deren Singularitäten höchstens Pole sind, werden auch meromorph genannt. Wegen des Identitätssatzes kann die Polstellenmenge einer auf   meromorphen Funktion nur diskret sein. Damit liegen in jeder kompakten Teilmenge höchstens endlich viele Pole. Für die gesamte Ebene belegt der Satz von Mittag-Leffler die Existenz von Funktionen mit unendlich vielen Polstellen. Mit Hilfe der Ordnung der Pol- und Nullstellen einer meromorphen Funktion kann ein Divisor definiert werden.

Betrachtet man den kompaktifizierten Abschluss der komplexen Zahlen  , so bilden meromorphe Funktionen ihre Polstellen auf   ab. Lässt man   auch im Definitionsbereich zu, so haben genau die Polynome  -ten Grades in   eine Polstelle der Ordnung  . Allgemein sind meromorphe Funktionen   holomorph auf  , wenn sie in   höchstens einen Pol haben. Damit sind dies holomorphe Funktionen auf einer komplexen Mannigfaltigkeit, nämlich der riemannschen Zahlenkugel. Es lässt sich zeigen, dass jede holomorphe Funktion   global als Quotient zweier Polynome ausgedrückt werden kann und somit stets eine rationale Funktion ist.

Satz vom Null- und Polstellen zählenden Integral

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Sei   eine auf einem Gebiet   meromorphe Funktion. Dann gilt für jede glatte, geschlossene, rektifizierbare Kurve  , die weder Null- noch Polstellen von   berührt und die eine Teilmenge   berandet:

 .

Dabei sind   und   die Anzahl der Null- bzw. Polstellen inklusive ihrer Vielfachheiten, die in   liegen. Insbesondere gilt für jede auf   meromorphe Funktion  .

Beispiele

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f(x) = 1/sin(x)
  • Die Funktion   hat zwei Pole 1. Ordnung bei  .
  • Der Kehrwert des Sinus   lässt sich analytisch fortsetzen auf   und hat einfache ungerade Pole bei allen ganzzahligen Vielfachen von π, da  .
  • Die Tangensfunktion   hat ungerade Pole bei allen  .

Weiteres

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Literatur

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  • Manfred Zimmermann (Hrsg.): Einführungsphase Mathematik. 5. Auflage. Transparent-Verlag, Berlin 1991, ISBN 3-927055-03-4.
  • Georg Hoever: Höhere Mathematik kompakt. 2., korrigierte Auflage. Springer Verlag, Berlin/ Heidelberg 2014, ISBN 978-3-662-43994-4.
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