Zum Inhalt springen

Ein ungarisches Reiterleben

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: W. H–m.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein ungarisches Reiterleben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 25, 28, 29–31
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reiterstückchen des Grafen Moritz Sándor
mit 3 Abbildungen von Johann Erdmann Gottlieb Prestel aus dem „Sandoralbum“
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[25]

Sándor’s unfreiwilliger Ritt in den Steinbruch bei Bia.
(S. S. 31.)

[28]

Sándor mit Tartar auf dem Eise der Donau.
(S. S. 31.)

[29]
Ein ungarisches Reiterleben.
Mit drei Abbildungen.


In der großen Brückgasse zu Pest war ein ungewöhnliches Gedränge; der Adel hielt eine Auffahrt. Carossen folgten auf Carossen in endlosem Zuge, Zweigespanne und Vierer, geleitet von stolzen, betreßten Kutschern oder von schnurrbärtigen Söhnen der Pußta in flatternden Gatyen (weiten ungarischen Beinkleidern), auf dem Kopf den malerischen Kremphut mit dem Federgras-Busch. Zwischen ihnen hindurch windet sich schüchtern und doch wieder trotzig der gewöhnliche Verkehr, unscheinbare Fiaker und Bauernwagen; die Luft ist erfüllt von Staub, von dem Gewieher der Rosse, dem Hufgeklapper, dem Peitschenknall und Rufen der Lenker; auch mancher laute Ausdruck des Wohlgefallens wird gehört, denn an Thüren und Fenstern

Sándor’s Sturz mit Tartar.
(S. S. 31.)

steht, was lebendig ist; für die Ungarn giebt es kein willkommeneres Schauspiel, als Pferde und deren Leistungen. Zwischen die langen Zeilen der Fuhrwerke war ein vereinzelter Reiter gerathen, in der kleidsamen Magyarentracht, eine zierlich prächtige Gestalt auf noch prächtigerem Rosse. Das edle Thier schnaubte und courbettirte, es war ungeduldig, wie sein Herr, der mit ihm verwachsen schien; dahin, dorthin wandte er es, umsonst, immer von Neuem schloß sich die Lücke, durch welche er dem Wagengetümmel zu entkommen gedachte. Da spornt der Reiter sein Pferd an und fliegt von dem Fleck in einem ungeheuren Satz hinweg über das erschrockene Dreigespann eines Bauerngefährts auf den freien Raum des Pflasters, daß die Hufe Feuer aus den Steinen schlagen, und dann sprengt er lachend davon, als hätte das nur so sein müssen, aber doch verfolgt von dem begeisterten Ausbruch der Menge: „Eljen, Eljen! Das war der Gróf, unser Gróf!“ Und wenn ein Fremder gefragt hätte: „Welch ein Graf?“ so würde jedes Kind in Pest und Ofen verwundert über solche Unkenntniß geantwortet haben: „Wer anders, als der Graf Sándor? Den müssen’s doch kennen!“

In der That, der kühne Reiter war eine der populärsten Figuren in ganz Ungarn – vor den Ideen des März 1848. Jedermann kannte ihn, Jedermann wußte von ihm zu erzählen; seine Thaten waren in den Volksmund übergegangen und theilweise schon zur Mythe geworden. Es gab für ihn zu Pferde kein Wagstück; wo Andere sorgsam sich den eigenen Füßen anvertrauten oder lieber gar zurückblieben, da flog er hoch zu Roß darüber und fast immer ist es ihm gelungen. So ist er denn auch lustig und muthig durch’s Leben geritten. Bekanntlich sind die Magyaren ein Reitervolk, das einzige in Europa. Wer die Csikóse (Roßhirten) mit der Wurfleine in der Faust die Heerde umkreisen, wer die verwegenen Betyaren (berittene Räuber) über die Pußten brausen gesehen hat, der erinnert sich an die Sagen von Roßmenschen und fragt sich, ob die wilden Comanchen der Prairien oder die Gauchos der Steppen so Eins sein können mit ihrem Thier, wie diese schlanken, nur aus Sehnen gewebten Ungarnreiter. Und wenn selbst unter diesen, im ganzen Volke, die Reiterstücklein des Grafen solches Aufsehen machten, daß sein Name in jedem Munde lebte, – dann müssen sie wirklich außerordentlich gewesen sein – und sie waren es!

Graf Moritz Sándor, geboren im Jahre 1805, gehört einer der ersten und reichsten ungarischen Magnatenfamilien an. Von frühester Jugend war Reiten seine größte Leidenschaft und namentlich setzte er stets einen besonderen Ehrgeiz darein, solche Pferde zu tummeln, welche kein Anderer zu besteigen wagte. Es begünstigte ihn dabei ein sehr kräftiger Körper von vollendet schönem Ebenmaß, wenngleich nur von Mittelgröße, und ein unerschütterbares Nervensystem, das in den gefährlichsten Lagen ihn niemals die Geistesgegenwart verlieren ließ. Seine Kaltblütigkeit ist zum Sprüchwort geworden. Sándor war eine merkwürdige Natur. Niemals ist Wein oder sonst ein geistiges Getränk über seine Lippen gekommen, trotzdem sein Grafensitz in Bajna sich durch verschwenderischste Gastfreundschaft sogar in Ungarn einen Namen gemacht [30] hat. Dagegen war es ihm eine Leichtigkeit, Tage lang Hunger und Durst zu ertragen oder zwanzig Stunden hindurch ununterbrochen seinen berühmten Sechserzug zu fahren, dessen Pferde so scharf in die Hand gingen, daß sie den Wagen mehr mit den Zügeln, als den Strängen zu ziehen schienen und starke Männer die Führung kaum zwei Stunden lang auszuhalten vermochten.

Eine merkwürdige Eigenthümlichkeit des Mannes war auch die, daß er bei Tage schlecht, in dunkelster Nacht dagegen ausgezeichnet gut sah, was ihm bei nächtlichen Unfällen manchmal sehr zu statten kam. Des Grafen Liebenswürdigkeit und Heiterkeit im Umgang, seine Liberalität und sein fürstlicher Reichthum machten sein Haus zu einem steten Sammelplatz der besten Gesellschaft, unter welcher namentlich die Künstler immer gut vertreten waren. Daß Sándor emsig die Pferdezucht betrieb und ein treffliches Gestüt unterhielt, war bei seiner Liebhaberei und seinem Besitz fast selbstverständlich. In den Ställen zu Bajna konnte man die schönsten, besten Thiere des In- und Auslandes sehen; hier standen auch seine Lieblingsrosse, deren Namen im Lande so berühmt und bekannt waren, wie derjenige ihres Herrn, darunter Tartar, das berühmteste von Allen. Unter den vielen Reiterstücklein, die Graf Sándor auf diesem ausgeführt hat, wollen wir einige herausheben und erzählen.

Eines schönen Morgens ritt Graf Sándor von seinem Gute Raro nach Raab. Er hatte dabei den breiten Donau-Arm zu passiren, welcher die Insel Klein-Schütt bildet; um zur Fähre zu gelangen, hätte er einen großen Umweg machen müssen; das war nicht seine Sache, er wählte den geradesten Weg und warf sich mit Tartar in den breiten, reißenden Strom. Unverzagt kämpfte das edle Thier gegen denselben; schon war das Ufer ganz nahe, hier aber auch das Wasser am tiefsten, die Fluth am heftigsten. Ihr vermochte der starke Reiter nicht zu widerstehen, sie hob ihn aus dem Sattel und er mußte das Ufer schwimmend erreichen. Tartar aber, anstatt seinem Herrn zu folgen, kehrte sofort um und schwamm die ganze lange Strecke zurück zu dem zitternd am Ufer harrenden Reitknecht, welcher nicht gewagt hatte, es dem Grafen nachzuthun. Dieser befand sich in einer keineswegs beneidenswerthen Situation auf einer einsamen Strominsel. Zwar benützte er seine Zeit und die Sonne, um die durchnäßten Kleider gründlich zu trocknen, doch ward ihm der Tag gewaltig lang, bis endlich spät der Reitknecht mit Fährleuten erschien, um den Donau-Robinson zu erlösen.

Es mußte wieder nach Raro zurückgeritten werden. Um den Weg abzukürzen, wählte der Graf eine schmale, in den Park führende Brücke, welche jedoch für Pferdehufe nicht berechnet war; in der Mitte brach Tartar durch die morschen Breter hinab in den tiefen Sumpf, aus dem er sich nur mit der größten Anstrengung rettete. Sein Reiter aber hatte das zierliche Brückengeländer erfaßt und schwebte zwischen Himmel und Erde; da dasselbe ihn nicht zu ertragen vermochte, so mußte er, Hand um Hand vorgreifend, sich zu erhalten suchen, bis es ihm gelang, mit einem Schwung auf den Unterbalken und darauf fortrutschend, an das Ufer zu kommen. Hier wartete Tartar geduldig, ward bestiegen und es war noch Zeit genug, im Vorüberreiten den kranken Obergärtner zu besuchen, vor dessen Bett im ersten Stockwerk plötzlich der Graf hoch zu Roß erschien. Das furchtbare Gepolter und der Schreck stellten den Mann sofort wieder vollkommen her.

Ein andermal ließ sich Graf Sándor sein Leibpferd Tartar gesattelt und gezäumt in das Schlafzimmer seines Ofener Palais im zweiten Stock bringen, saß daselbst auf und ritt, begleitet von seinen lustig kläffenden Hunden, gemüthlich die steinerne Haupttreppe hinab in den Hof, wo die Insassen in lautlosem Schreck seiner harrten. Aber ohne Fehltritt kamen die Beiden unten an und flogen nach dem Donauquai. Es war im Spätwinter, der breite Strom befand sich unter mächtigem Eisgang, die Kettenbrücke war damals noch nicht vorhanden. Aber Graf Sándor wollte nach Pest, und wenn er Etwas wollte, so setzte er es auch durch. Anfänglich war kein Fährmann zu finden, jeder zuckte die Achsel, wenn er den Bietenden nicht geradezu auslachte. Aber dieser erhitzte sich; „tausend Gulden!“ Diesem Zauberwort konnten die Ofener Fergen doch nicht widerstehen, ihrer sechs sprangen in die Fähre, mitten unter sie der Graf auf dem Tartar dessen Sattel er während der Ueberfahrt nicht verließ. Es war ein grausiger Anblick, dieser Kampf der tollsten Wagehalsigkeit mit den entfesselten Elementen; in riesiger Anstrengung mußten die braven Schiffer ihren Sold verdienen, alle Augenblicke schoben sich ungeheure Eisschollen vor, unter, hinter, neben dem Boote zusammen, als wollten sie es zerquetschen; das Rollen der Wasser, das Knirschen der sich reibenden Blöcke, die mit der Gewalt von Kanonenschüssen zerspringende Decke des Flusses verwirrten die Sinne und ließen das Unternehmen noch gefährlicher erscheinen, als es an und für sich schon war. Auf beiden Ufern waren daher Hunderte zusammengelaufen und harrten mit angstvoller Spannung des Ausgangs. Aber glücklich kamen die Waghälse nach unsäglicher Arbeit hinüber und zufrieden sprengte der Graf durch die ihm zujauchzende Menge.

Zunächst wollte er seinen Schwager, den Grafen Keglevich, besuchen. Wer in Pest gewesen ist, kennt die eigenthümliche Bauart der dortigen Häuser, welche einen Hof im Quadrat umgeben und deren Etagenthüren sich auf offene, säulengetragene Galerieen münden. Sándor ritt die Stiege hinauf und auf der Galerie des ersten Stocks bis vor die gerade am Ende derselben befindliche Thüre Keglevich’s, die er jedoch geschlossen fand. Jetzt war aber guter Rath theuer, denn der Gang war nur drei Fuß breit und unmöglich, das Pferd zu wenden. Da Sándor niemals aus dem Sattel stieg, um ein Hinderniß zu beseitigen, so suchte er auch jetzt, den Hengst hufen zu lassen und so verkehrt wieder zurück zu gelangen. Allein Tartar war kein Freund des Rückschritts, ward unwillig, stieg in die Höhe und machte Miene, mit seinem Reiter über das Geländer in den Hof hinab zu springen. Dieser aber wußte das Manöver des Thieres mit unnachahmlicher Geschicklichkeit zu benützen; sobald es sich wieder bäumte, wendete er es rasch auf dem Hintertheil herum, was, da die Marmorplatten der Galerie voll Glatteis waren, höchst gefährlich hätte ablaufen können, und ritt so davon. Nach Erledigung einiger dringender Geschäfte wollte Sándor wieder nach Ofen zurückkehren und begab sich in Begleitung des Grafen Szapary an die Donau. Im Begriff, in die Fähre einzureiten, schwankte diese unter dem Andrang eines Eisstoßes und Tartar fiel mit den Vorderbeinen in’s Wasser hielt sich aber noch mit der Schnauze am Schiffsrand fest bis die Schiffer den Kahn wieder genähert hatten, worauf er sich hineinschnellte; in einem Augenblick war Alles geschehen. Die Rückfahrt glich völlig dem Hinweg, nur war Tartar so ungeduldig, daß er kaum gebändigt werden konnte; noch ziemlich weit vom jenseitigen Ufer ab flog er in einem erstaunlichen Satz auf das feste Land „und mit gewalt’gem Huftritt hinter sich, wirft er das Schifflein in den Schlund der Wasser“, so daß es umschlug und wenig fehlte, den Fergen noch ein kaltes Bad zu schaffen. Wohlgemuth schlug nunmehr der Graf den kürzesten Weg zu seinem Palais ein, ritt die steile, eisbelegte Ofener Festungstreppe – schon dem Fußgänger beschwerlich – hinan und ließ den Tartar, wie gewöhnlich, auf den Hinterfüßen in den heimischen Hof tanzen.

Das waren die Thaten eines Tags; dergleichen gab es aber unzählige in Sándor’s Leben. Noch einen letzten Zug von dem Tartar: als das Pferd alt und gebrechlich geworden war, gab ihm sein Herr zum Dank für seine treuen Dienste und seine wahrhaft wunderbare Bravour das Gnadenbrod auf einem seiner Meierhöfe. Fünf Jahre lang hatte es der Graf nicht mehr gesehen; als er eines Tages kam, waren gerade die Pferde, unter ihnen der mittlerweile völlig erblindete Tartar, zur Tränke geführt worden. Laut rief der Graf den Namen und das „Hopp!“ mit welchem er ihn zu so manchem kühnen Sprung angefeuert hatte, und hellauf wiehernd flog das treue, edle Thier über den Brunnentrog hinweg, bis vor seinen Herrn und Freund, brach da nieder und verendete sofort zu dessen Füßen.

Einer der entsetzlichsten Ritte, welche Sándor jemals gewagt war der mit dem Gonos, einem Pferd seiner eigenen Zucht. Er fand, nach längerem Aufenthalt in Rom zurückgekehrt, dasselbe stutzig und verritten; es wollte durchaus nicht aus dem Stallhofe des Schlosses Bia, bis es der Graf, der darauf saß, durch Reitknechte hinauspeitschen ließ, so, daß es in blinder Wuth durchging. Es sprang zuerst über ein Bauernthor, nahm mehrere starke Umzäunungen, raste dann über Ackerfeld fort, wälzte sich, in erneuertem Koller, mit seinem Reiter in einem breiten Sumpfgraben, wobei die Kinnkette riß, setzte darauf über eine Kirchhofmauer und mähte, unaufhaltsam bockend, die hölzernen Kreuze nieder, flog wieder hinaus auf’s Feld und geradewegs einem tiefen Steinbruch zu. Umsonst wandte der Graf alle Kraft und Kunst [31] an, es abzuwenden, das tolle Thier war ganz unlenkbar geworden – und fünfzig Fuß tief hinab flogen Roß und Reiter in die aufgethürmten scharfen Felsblöcke. Beide wären unfehlbar verloren gewesen, wenn sie nicht gerade zufällig auf den aus Staub und Kies bestehenden Abraumhaufen gestürzt wären, die einzige schmale Stelle des ganzen Bruchs, wo sie nicht zerschmettern konnten, und wunderbar, Mann und Thier nahmen fast gar keinen Schaden! Kaum hatte sich der Gonos, auf dem der Graf wie festgewachsen sitzen geblieben war, aus der schweren Sandwolke herausgearbeitet, so setzte er sogleich seine rasende Flucht wieder fort, scheute an einer Brücke vor einem begegnenden Wagen, und prellte über das Geländer hinab in die Lache. Als auch diese ihn nicht abzukühlen vermochte und das Thier daraus hervor im tollsten Tempo weiter raste, blieb dem Grafen nichts übrig, als es endlich so zu dirigiren, daß es mit dem Kopf wider einen mächtigen Weidenbaum rannte und betäubt zusammenbrach. Zur Strafe für alle diese Schandthaten wurde Gonos eingespannt und fand seinen jähen Tod auf einer scharfen Fahrt von Nesmill nach Gyöngyös.

So ließen sich noch zahllose wilde Reiterstückchen aus dem Leben des Grafen Sándor erzählen. Wie er im Boot den Eisgang forcirte, so auch blos zu Pferd. Die Eisdecke der Donau stand ausnahmsweise noch zu Ende des März. Thauwetter und Frost wechselten ab; Niemand erwartete übrigens schon das Aufgehen des Eises. Allein an der oberen Donau waren starke Regengüsse gefallen, wodurch das Wasser mit einem Male ungewöhnlich rasch in’s Steigen kam. Graf Sándor ritt sorglos auf der Eisdecke des Stromes spazieren und überhörte, mit Gedanken beschäftigt, gänzlich die drei Kanonenschüsse, welche üblicherweise gelöst werden, sobald das Eis sich in Bewegung setzt. An dem Vorsprung des Blocksbergs – auf der Ofener Seite – verengert sich das Strombett; hier klemmte sich der Eisstoß. Mit furchtbarem Krachen barst die Decke, schob sich zusammen und thürmte häuserhohe Schollen auf; der Graf befand sich einsam inmitten dieser furchtbaren Scene der Zerstörung. Hier galt kein Säumen; schon mußte das Pferd von einer Scholle zur andern über breite Wasseradern springen, über Eisberge klimmen, die sich höher und immer höher und drohender aufrichteten und endlich das Thier zum Sturze brachten. Glücklicherweise trennte sich dabei der Reiter von ihm, wenn er sich auch den Arm aus der Pfanne fiel; das Pferd erreichte, ledig der Last, das nicht mehr ferne Ufer; auch dem Grafen glückte dies unter unsäglichen Anstrengungen und Schmerzen; zu Roß wäre er verloren gewesen.

Dies war das eine Mal, daß er zugab, sich in wirklicher Lebensgefahr befunden zu haben. Das zweite Mal war es der Fall, als er von seinem Schlosse Bajna nach Totis, dem Gräflich Esterhazy’schen Stammsitz, auf der englischen Stute Coquette und statt eines großen Umwegs mitten durch das Hegyer-Moor ritt. Bekanntlich sind derartige Brüche in Ungarn nicht selten; sie bestehen aus den festen sogenannten Stopfen, d. i. kleinen Grasplateaus und Morast, dazwischen oft unergründlich tiefe, brunnenartige Wasserlöcher. Ueber einen solchen Stopfen stolperte das Pferd, stürzte und warf seinen Reiter ab; dieser aber flog im Bogen mitten unter eine Heerde wilder Büffel, welche sich in demselben Augenblick ringsum aus dem Sumpfe hoben und mit rothglühenden Augen nach dem unter sie geregneten Fremdling stierten. Die Coquette machte sich glücklich davon, auch der Graf entschloß sich diesmal zum möglichst geräuschlosen Rückzug, wand sich, wie ein Aal, von Stopfen zu Stopfen und kam glücklich nach Totis; in welchem Aufzuge, mag man denken!

Ebenso geschickt wie als Reiter, war Graf Sándor auch als Rosselenker vom Bock herab. Von seinem berufenen Sechserzug werden fabelhafte Thaten erzählt. Bald fährt er trotz des Verbotes der Polizei damit über die kaum zugefrorene, spiegelglatte Donau (bei Preßburg), deren Decke sich unheimlich unter ihm biegt; bald stellt er im Prater zu Wien zwei Fiaker in geringer Entfernung nebeneinander auf und fährt mit Vieren breit gespannt zwischen ihnen hindurch, ohne sie zu berühren. In Folge einer Wette fuhr er in dreißig Stunden, ohne die Pferde ausgespannt zu haben und ohne den geringsten Schaden für dieselben, von Wien nach Ofen. Die Fahrt wurde in Wien um zwölf ein halb Uhr Nachts angetreten und den zweiten Morgen um sieben ein halb Uhr in Ofen beendigt, so daß in dieser Zeit sechsunddreißig deutsche Meilen gefahren wurden mit nur zehn Stunden Rast und Futterzeit. Mit seinen vier ausgezeichneten Schimmelponies machte er alle erdenkliche Wendungen, während ein Herr den Fuß hinter das eine Hinterrad des Wagens stellte, das sich während dessen nicht vom Platze wegbegeben durfte. Als ihm die Comitatsbehörde verboten hatte, mit dem Sechserzug zu fahren, kam er damit in den engen Hof des Comitatshauses, gab seine Erklärung ab, daß er sich an den Befehl nicht kehren werde, wendete, wie man zu sagen pflegt, auf dem Topf um und jagte davon. Nicht unbemerkt darf hier bleiben, daß Graf Sándor durch Muth und Reitergeschicklichkeit mehrere Menschenleben gerettet hat.

Auch von seinen Jagden wäre manches merkwürdige Abenteuer zu berichten. In Ungarn hetzte er den Hasen, jagte zu Pferd den Hirsch, in England ritt er mit den tollsten Fuchsjägern um die Wette und übertraf sie alle, in Tirol und Steiermark stieg er den Gemsen nach bis auf die höchsten Joche. Und stets und überall blieb ihm treu das in’s Sprüchwort übergegangene „Sándor’sche Glück“. Zwar fehlte es ihm nicht an sogenannten „Accidents“; es war sogar in Buda-Pest und Wien eine Zeitlang in der Mode oder auszeichnend, mit Graf Sándor einen „Accident“ gehabt zu haben, und nicht jeder lief für die Betheiligten glücklich ab. Er selber riß sich aber immer wieder ziemlich gut heraus. Bei den tausend Unfällen seiner wilden Reiterlaufbahn behielt er stets seine geraden Glieder, trug keine körperliche Entstellung davon. Sein linkes Bein hat er dreißig Mal aus dem Kniegelenk gefallen; dieses Schadens halber mußte er es zwanzig Jahre hindurch in eisernen Schienen tragen, die ihn jedoch nicht im mindesten hinderten, alle jene Wagnisse auszuführen, deren wir vorher gedacht haben.

Ehe noch die Schwäche des Alters es gebot, entsagte Graf Sándor seiner Leidenschaft, zog sich gänzlich vom Schauplatz der großen Welt zurück – auf welchem er, als reicher Cavalier, als hochberühmter Sportsman, zudem Schwiegersohn des seiner Zeit allmächtigen Fürsten Metternich, überall eine hervorragende Rolle gespielt hatte – um den Wissenschaften und Künsten, aber auch seinen Erinnerungen zu leben. Letztere hat er lebendig vor Augen in einer Galerie, welche kaum ihres Gleichen haben dürfte. Seit seinem achtzehnten Jahr war der Graf in enger Freundschaft mit dem Maler G. Prestel verbunden, einem geborenen Frankfurter, dessen Thierstücke ebenso seltene – da sie meist von Potentaten bestellt oder angekauft wurden – als durch Naturwahrheit und tiefes Studium ausgezeichnete Meisterwerke sind. Prestel, zugleich trefflicher Pferdekenner – er hat zum Behuf der Förderung seiner Kunst sogar Thierarzneikunde gründlich studirt – ist bei den meisten Reiterstückchen Graf Sándor’s Gefährte und Augenzeuge gewesen, hat sie skizzirt und in Oel gemalt. Dergleichen mehr oder minder ausgeführte Scizzen sind über dreihundert vorhanden, viele darunter von bleibendem Kunstwerth. Vom Jahr 1858 ab entschloß sich Prestel dazu, sie sämmtlich mittels der Photographie zu vereinigen in ein „Sándor-Album“, welches den Titel führt: „Reit-, Fahr- und Jagdereignisse aus dem Leben des Grafen Moritz Sándor. Aufgenommen, gemalt und photographisch vervielfältigt von Maler J. G. Prestel, welcher den Grafen Sándor während zwölf Jahren begleitet und mit wenigen Ausnahmen sämmtlichen Accidents beigewohnt.“

Da die anfänglich durch Andere bewirkte photographische Aufnahme der Bilder selten genügend war, so mußte der Maler sich entschließen, eine eigene photographische Anstalt blos zu diesem Zwecke in Mainz zu gründen. So ist das Sándor-Album jetzt in drei Serien bis auf einhundertfünfzig Blätter gediehen, welche nicht nur in der Composition und malerischen Darstellung, sondern besonders auch in der photographischen Wiedergabe ganz vortreffliche Leistungen zu nennen sind. Dies Album befindet sich nicht im Buchhandel, ist nicht käuflich und für jedes Blatt ist das Vervielfältigungsrecht vorbehalten. Nur zu Gunsten der Gartenlaube ist eine freundliche Ausnahme gestattet worden.
W. H–m.